Vor gut 2000 Jahren beschreibt Patanjali in seinen Schriften, den „Yoga Sutras“ (wörtlich: Leitfaden des Yoga), die 5 Yamas und 5 Niyamas – moralische Regeln für den Umgang miteinander und den Umgang mit uns selbst. In diesem Artikel beschäftige ich mich zunächst mit den 5 Yamas. Ich möchte dir meine Interpretation und Umsetzung der Yamas vorstellen, dich damit inspirieren und dir zeigen, welche Relevanz sie bis heute haben.
Ahimsa: Gewaltlosigkeit
Ahimsa, das erste der 5 Yamas, bedeutet Gewaltlosigkeit in allen Aspekten unseres Lebens. Es betrifft unsere Gedanken, unsere Sprache und unsere Taten. Ahimsa fordert uns dazu auf, uns selbst und unseren Mitmenschen mit Mitgefühl und Respekt zu begegnen. Für mich beinhaltet das nicht nur die Abwesenheit von physischer und psychischer Gewalt, sondern auch die bewusste Entscheidung, anderen Menschen mit Wohlwollen zu begegnen.
In unserem Alltag werden wir täglich mit Negativem und Konflikten konfrontiert: in den Nachrichten, in den Kommentarspalten auf Social Media, beim Smalltalk im Büro und, und, und… diese negative Energie ist allgegenwärtig und da passiert es schnell, sich in bösen Gedanken zu verlieren. Doch das möchte ich nicht. Anstatt das Verhalten anderer zu verurteilen oder vor mich hin zu schimpfen, versuche ich bewusst Verständnis aufzubringen und zu verzeihen.
Ein weiterer wichtiger Aspekt von Ahimsa ist für mich meine Ernährung. Ich esse, seit ich sieben oder acht Jahre alt bin vegetarisch (dazu wird bald ein weiterer Artikel erscheinen) und seit einiger Zeit sogar komplett vegan. Dies ist eine bewusste Entscheidung, um keine Tiere zu auszubeuten oder zu verletzen. Auch wenn du nicht vegan oder vegetarisch isst – durch die Reduzierung von tierischen Produkten kannst du dazu beitragen, das Leiden von Tieren zu verringern und gleichzeitig einen positiven Einfluss auf den Planeten ausüben.
Darüber hinaus ist mir wichtig, den Großteil meiner Kleidung Second Hand zu kaufen. Es ist mittlerweile bekannt, dass die Arbeitsbedingungen in vielen Kleiderfabriken grausam sind und dass die Modeindustrie erhebliche negative Auswirkungen auf unsere Umwelt hat. Mir ist an dieser Stelle wichtig zu betonen, dass die Praxis von Ahimsa ein ständiger Prozess ist. Es erfordert viel Achtsamkeit und Willensstärke, um jeden Moment bewusste Entscheidungen zu treffen, die im Einklang mit diesem Prinzip stehen. Ich bin mir bewusst, dass ich noch viel lernen kann und dass es
immer Raum für Wachstum gibt – doch ich bin entschlossen meinen Beitrag zu leisten.
Satya: Wahrhaftigkeit
Satya, das zweite der 5 Yamas, steht für Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit – sowohl im Umgang mit unseren Mitmenschen als auch im Umgang mit uns selbst. Es erfordert Mut, sich so zu zeigen, wie man ist, authentisch zu leben und für die Dinge einzutreten, die einem wichtig sind. Für mich bedeutet Satya nicht nur in meinen Worten, sondern auch in meinen Gedanken und Gefühlen ehrlich zu sein.
Ich möchte daran arbeiten, meine Bedürfnisse klar zu kommunizieren und nicht „ja“ zu sagen, wenn ich eigentlich „nein“ meine. Diese Einstellung ist entscheidend für gesunde Beziehungen. Wenn ich meine wahren Gefühle und Grenzen nicht ausdrücke, kann das leicht zu Missverständnissen führen. Wenn mich beispielsweise ein Wort eines Mitmenschen verletzt und ich nichts sage, wissen sie nicht, warum ich gekränkt bin. Ich nehme ihnen somit die Möglichkeit, das Gesagte richtigzustellen oder sich zu entschuldigen.
Ein weiteres Thema, das mich im Zusammenhang mit Satya beschäftigt, sind Notlügen. Oft scheint es einfacher zu sein, kleine Lügen zu erzählen, anstatt direkt mit der Wahrheit herauszurücken. Vermeintlich haben wir die Absicht, andere nicht zu verletzen oder Konflikte zu vermeiden. Doch ich frage mich oft: Was steckt wirklich dahinter? Wenn ich in mich hinein höre, verspüre ich häufig Angst vor Ablehnung. Ich bin der Meinung, diese Angst zu identifizieren ist der erste Schritt in die richtige Richtung. Mein Ziel ist es, an ihr zu arbeiten und zu lernen aufrichtigere Wege der Kommunikation zu finden.
Satya zu leben erfordert Entschlossenheit. Es bedeutet nicht nur, die Wahrheit auszusprechen, sondern auch die Konsequenzen dafür anzunehmen – manchmal unangenehm oder konfliktbeladen. Doch ich bin überzeugt davon, dass starke Beziehungen nur durch Authentizität entstehen können.
Asteya: Begierdelosigkeit
Asteya, das dritte der 5 Yamas, lehrt uns die Bedeutung von Begierdelosigkeit und den respektvollen Umgang mit dem Eigentum anderer. In unserer westlichen Welt, in der Konsum eine zentrale Rolle spielt und wir im Überfluss leben, finde ich es wichtig, Wünsche kritisch zu hinterfragen und immer wieder zum Wesentlichen zurückzufinden. Die essenzielle Erkenntnis von Asteya ist, dass wir das Eigentum anderer – sei es materiell oder immateriell, wie Ideen und Erfolge – nicht für uns beanspruchen sollten. So wäre es beispielsweise nicht in Ordnung, den innovativen Vorschlag einer Kollegin als unseren eigenen auszugeben.
Wenn wir uns mit Asteya auseinandersetzen, gilt es auch hier, unsere eigenen Wünsche zu hinterfragen. Oft wollen wir Dinge nur, weil sie im Trend liegen oder von Influencern beworben werden. Doch ehrlich gesagt: Je mehr Besitztümer wir anhäufen, desto weniger glücklicher werden wir. Stattdessen möchte ich mich auf schöne Erlebnisse konzentrieren – das Erkunden neuer Orte, Hobbys, die mir Freude bereiten, gute Gespräche oder Zeit für mich selbst. Das sind die Momente, in denen ich im Hier und Jetzt lebe, mein Herz leuchtet und ich echtes Glück empfinde.
Brahmacharya: Enthaltsamkeit
An einigen Stellen wird Brahmacharya, das vierte der 5 Yamas, mit Keuschheit verbunden, doch im weiteren Sinne bedeutet es Maßhalten und bewusste Kontrolle über unsere Begierden. Es lädt uns ein, unseren Konsum achtsam zu hinterfragen und das gilt nicht nur für den Konsum materieller Dinge, sondern auch den von Medien, Essen oder Alkohol. In einer Welt des Überflusses, in der alles jederzeit verfügbar ist, ist es wichtig, diesen Reizen nicht zu verfallen und kritisch zu reflektieren: Was brauche ich wirklich?
Oft stelle ich fest, dass meine Wünsche weniger aus echten Bedürfnissen entstehen als vielmehr aus gesellschaftlichen Erwartungen. Muss ich im Büro immer die schicksten Outfits tragen, nur weil es Kollegin xy auch tut? Brauche ich wirklich den sechsten Blazer, obwohl ich noch nicht einmal Kundenkontakt habe? Wenn wir solche Muster erkennen und reflektieren, wird schnell klar, was uns tatsächlich wichtig ist.
Brahmacharya bedeutet auch, nicht impulsiv zu handeln oder uns von Begierden leiten zu lassen. Es geht darum, bewusste Entscheidungen zu treffen und Prioritäten zu setzen. Wenn ich über mein Essverhalten am Buffet oder meinen Social-Media-Konsum nachdenke, merke ich schnell, dass auch bei mir noch Verbesserungsbedarf besteht. Ich möchte lernen, zu wissen, wann genug genug ist.
Es ist wichtig zu betonen, dass Enthaltsamkeit oder Maßhalten nicht Verzicht bedeutet. Bei Brahmacharya streben wir ein Gleichgewicht an und wollen die Dinge in Maßen genießen. Ein Beispiel: Ich kann meinen Alkoholkonsum in einem Rahmen halten, der mir guttut und nicht schadet. (An dieser Stelle möchte ich den Konsum von Alkohol keinesfalls verherrlichen. Ich finde das Beispiel beschreibt es eben sehr gut) Etwa wenn ich nach einer ausgiebigen Wanderung in der Hütte ein kühles Radler zu meinen Pommes genieße. Diese Balance steigert meine Lebensqualität und schützt gleichzeitig meine Gesundheit.
Aparigraha: Bescheidenheit
Aparigraha, das letzte der 5 Yamas, steht für Bescheidenheit und Loslassen – auch hier: sowohl in Bezug auf materielle Dinge als auch auf Gedanken, Beziehungen und Gefühle. Wenn wir lernen, dass alles seine Zeit hat und uns nicht krampfhaft festhalten, schaffen wir Raum für innere Zufriedenheit. Bescheidenheit bedeutet für mich, mit dem zufrieden zu sein, was ich habe, und den Drang nach „mehr“ zu hinterfragen.
Im Frugalismus gibt es eine Denkweise, die mich sehr inspiriert. Sie besagt, dass wir aus der Fülle und nicht aus dem Mangel heraus denken sollten. Statt zu sagen „Ich brauche xy“, können wir auch denken „Ich habe bereits xy“. Zum Beispiel: Du hörst von einem neuen Yogastudio, das toll sein soll, hast aber noch ein Abo in einem Fitnessstudio mit einem vielfältigen Yogaprogramm, das du seit Monaten nicht genutzt hast. Anstatt zu denken: „Das neue Studio ist hipper, ich brauche beide Abos“, könntest du auch erkennen: „Ich habe bereits ein Yoga-Abo. Wenn ich Lust auf Yoga habe, nutze ich das.“ Später kannst du immer noch das andere Abo abschließen.
Müssen wir wirklich alles gleichzeitig und sofort haben? Können wir nicht das Beste aus dem machen, was wir schon besitzen? Ein wichtiger Aspekt von Aparigraha ist auch das Loslassen. Besonders wichtig ist mir das Loslassen von emotionale Lasten wie Ärger oder Groll wichtig. Vor allem im Straßenverkehr fällt mir auf, wie viel Energie wir in negative Gefühle investieren. Wenn wir uns über jemanden ärgern, der uns die Vorfahrt genommen hat, rauben wir uns damit Lebensfreude.
Durch Vergebung und Akzeptanz können wir Dinge annehmen, wie sie sind. Das bedeutet nicht, dass wir alles gutheißen müssen; es geht vielmehr darum, Frieden mit der Vergangenheit zu schließen und Platz für Neues zu schaffen.
Fazit
Die 5 Yamas sind wertvolle Empfehlungen, um ein bewussteres und erfüllteres Leben zu führen. Mir ist wichtig, zu erwähnen, dass du natürlich selbst entscheidest, was du aus diesem Beitrag mitnehmen möchtest und ob / welche der Prinzipien du in dein Leben integrieren möchtest. Es gibt keinen Druck, perfekt zu sein oder alle Yamas gleichzeitig umzusetzen – das Leben nach den 5 Yamas ist ein fortlaufender Prozess, und auch ich bin noch dabei meinen Weg zu finden.
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